Mordby - Geschichten aus der Krimi-Gemeinde

 von Karen Kliewe und Arnd Rüskamp

 

In Mordby gibt´s den Dorfkrug, den Löschteich, es gibt Krischan den Postboten, Luise, die Apothekenhelferin, es gibt den Schlachter, die Au am Waldrand und es gibt Leichen. Hilft ja nix.

Alle Illustrationen von: Karen Kliewe

#1 Der Vegetarier

„Die Post“.

„Was du nicht sagst.“ Luise (links) schaute Krischan den Postboten an und schielte. Krischan rollte die herausgestreckte Zunge und flötete, dass es büschen wie die Klarinette von Fräulein Bendixen klang, die sich in Mordby um die Kultur kümmerte. Schon immer. Ein Begrüßungsritual, das ihnen viel Freude machte. Nicht zuletzt wegen irritierter Blicke mancher Urlauber.

„Onkel Kuka liegt vor seiner Haustür.“

„Tot?“

„Jo.“

Luise drehte sich um, schob die Klappe der Durchreiche zum Labor nach oben und rief: „Doktor Brenner. Ich soll zu Onkel Kuka. Der lebt nicht mehr.“

„Zieh Handschuhe an, Kind“, antwortete Doktor Brenner. „Nicht, dass wir wieder so eine Schweinerei in der Apotheke haben. Als du den Busfahrer befummelt hast, war hinterher die ganze Theke voller Blut.“

Luise drehte das Schild an der Eingangstür um. „Pillen? Klingeln!“ stand da drauf, wenn man von außen guckte. Von innen war zu lesen: „Pillen? Immer rin!“

Krischan (rechts) nahm Luise im elektrischen Postauto mit. Vorbei an der Doppeleiche, dem Dorfkrug, eine Dreiviertelrunde um den Löschteich herum, neben dem die Mitfahrbank stand. Aber da saß nie jemand. Wer einmal in Mordby gelandet war, wollte hier nicht mehr weg. Die schöne Landschaft, das gute Essen, der Gildeball und immerzu gab es frische Leichen.

Onkel Kuka lag im Schatten seiner geliebten Magnolie. Zu Luises Enttäuschung gab es bezüglich der Todesursache nichts zu spekulieren. Das Filetiermesser, die Blutlache, der freie Blick auf die Anatomie von Luft- und Speiseröhre.

„Dem hat einer die Gurgel durchgeschnitten“, erkannte Krischan.

„Was du nicht sagst“, erwiderte Luise.

 „Onkel Kuka, hatte der Feinde?“

„Früher nicht“, wusste Krischan. Er war immerhin knapp 20 Jahre älter, als Luise. „Später eigentlich auch nicht. Aber seitdem er Vegetarier geworden ist. Wir sind hier ja nicht in der Stadt.“

Luise nahm das Filetiermesser an sich. Auf dem Griff ein sehr kleiner, ein sehr abgewetzter HSV-Aufkleber. Luise lächelte. HSV-Fans gab es in Mordby einige. Aber Filitiermesser benutzte nur einer.

„Krischan, fährst du mich kurz zu Manni Kalb?“

 

Vor dem Eingang zum Schlachter hatte sich eine Menschentraube gebildet. Also, nach Morbyer Maßstäben. Die drei Witwen, wie man sie hier nannte, hatten die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten. Kurzes „Moin“, dann ließen sie Luise passieren. Luise konfrontierte Manni Kalb mit dem Offensichtlichen. Manni Kalb nickte, zuckte mit den Schultern und weinte. „Onkel Kuka hat den Bürgermeister überredet, dass es auf dem Gildeball in diesem Jahr Grünkohl mit vegetarischer Wurst geben soll. Was sollte ich denn machen?“

 

Luise und Krischan brachten Manni Kalb in den alten Schweinestall, der übers Wochenende immer als Gewahrsam diente. Der Dorfsheriff hatte schon Feierabend. Montag würde er Manni Kalb in die Stadt fahren.

 

Und wieder neigte sich ein unterhaltsamer Tag im schönen Mordby seinem versöhnlichen Ende entgegen. Blutrot senkte sich der Ball der Sonne hinter der Au. Fräulein Bendixen bewachte Manni Kalb und las dem Delinquenten aus dem reichen Werk ihrer Gedichtesammlung vor. Das war eigentlich Strafe genug.

 

Das Bier das floss, der Krischan sank.

Das lag am Krischan und am Trank.

Der Sonntag ging, der Montag kam.

In Mordby und auch in Vietnam.

#2 Der wird das schwer haben

„Schön is er“.

„Und schnell“, stimmte Luise der Gemischtwarenfrau zu. Ihre Augen folgten dem Zugezogenen in seinem vorbeiflitzenden SUV. Die Bank vor Jorindes Gemischtwarenladen knarzte leise, als Luise sich entspannt zurücklehnte.

„Der wird das schwer haben.“ Jorinde puhlte Dreck unter ihren Fingernägeln hervor.

Luise nickte.

Vor ihnen stoppte das elektrische Postauto und Krischan sprang heraus. Vor lauter Ärger vergaß er, Luise die Zunge herauszustrecken. Ein etwas albernes, aber sich zäh haltendes Ritual.

„Was heizt der denn so?“ Sein Zeigefinger bohrte Löcher in die Luft. „Der passt hier nich hin!“

„Aber schön ist er.“ Jorinde puhlte versonnen.

„Jo. Toller Teint. Gut gebaut.“ Luise und Jorinde nickten.

„Toller Täng? Viel zu dunkel, voll ungesund!“ Krischan öffnete die überdimensional große Post-Jacke und präsentierte seinen hageren Körper. „Was kann hübscher sein als ein drahtiges Nordlicht?“

„Dee een secht so, dee annern so“, meinte Luise und musterte unverhohlen Krischans spärlich bewachsenen Schädel. „Das Haar vom Zugezogenen macht schon was her! Pechschwarz, toller Glanz!“

„Dem fehlt das doch an Tästostehorohn! Is so! Haben sie gestern im Fernsehn gesagt. Wer viel davon hat, dem gehn die Haare aus. Ist wegen der Männlichkeit.“ Stolz drückte Krischan die Knie durch.

„Aber schön is er“, wiederholte Jorinde und seufzte. „Nur verstehen tu ich den nich!“

Wissend nickten alle.

„Und seine Frau? Schon mal gesehen?“, fragte Luise und bekam einhelliges Kopfschütteln als Antwort.

„Gestern kam ein Taxi aus seiner Straße“, wusste Krischan.

„Was du nicht sagst“, erwiderte Luise. In Mordby fuhr man nicht Taxi. Es sei denn, man war Urlauber oder Zugezogener. Ohne ein weiteres Wort rannten sie zum Postauto. Krischan schob Jorinde in den Frachtraum.

Sie hielten vor der protzigen Villa des Zugezogenen. Luises fragender Blick setzte Krischan unter Zugzwang. „Ohne kann ich den nicht einwerfen“, meinte er entschlossen und knibbelte die Marke von einem Brief. Dann stapfte er los und klingelte bei Al Tajir. Nichts. Er drückte seine Nase an die Küchenscheibe. „Blut! Hier ist alles voller Blut!“, schrie er.

Schon war Luise neben ihm und auch Jorinde kam angestolpert.

„Aufbrechen!“, befahl Luise und Krischan schritt zur Tat.

Dicke, rote Tropfen zierten den Flurboden, führten sie bis in die Küche.

„Der hat sie umgebracht! Wusste ich es doch! Denen aus dem Süden ist nicht zu trauen!“, jammerte Krischan.

„Gschwerl, elendigs, seid's ihr auf der Brennsuppn dahergschwomm’n? Sacklzement und Kreizbirnbaam, damische Saupreißn, ihr!“ Ein lautstarker, nicht enden wollender Schwall bayrischer Mundart schwappte ihnen von hinten in die Ohren. Der samtig karamellige Ton der Haut des Zugezogenen konnte seine Zornesröte nicht verdecken.

„Ich sach doch, ich versteh den nich“, murmelte Jorinde eingeschüchtert.

„Sein Hund hat Blut gekotzt. Hat Geschwüre. Nu is er beim Viehdoktor.“ Eiko, der überall herumlungernde pubertierende Sohn des Bestatters war ihnen neugierig in die Küche gefolgt.

„Woher kannst du denn das, ausländisch?“, fragte Krischan erstaunt.

„Social Media!“ Eiko grinste altklug.

Der Hauseigentümer tobte, die Mordbyer räumten das Feld.

„Ich sach doch, der wird das schwer haben“, bekräftigte Jorinde.

Und wieder neigte sich ein unterhaltsamer Tag im schönen Mordby seinem versöhnlichen Ende entgegen. Blutrot senkte sich der Ball der Sonne hinter der Au. Der Dorfsheriff sorgte noch in der selben Nacht für den Austausch der aufgehebelten Tür. Die des alten Plumpsklos in seinem Garten lag eh nur rum. Das war Ehrensache.

Der Dorfkrug feierte, Jorinde auch.

Zufrieden rieb sie sich den dicken Bauch.

Der Montag ging, der Dienstag kam.

In Mordby und auch im Iran.

#3 Entenjäger

"Yoga Christa" kommt nicht vor.

Aber sie gibt sich solche Mühe.

Postbote Krischan hob zwei Finger. „Enten“, nuschelte er.

„Was du nicht sagst“, antwortete Luise und holte die Strichliste hervor. „17, jetzt sind es schon 17. So geht das nicht weiter.“

Vor dem Regal mit der Bio-Kosmetik standen die drei Witwen und kicherten. „Luise, habt ihr die Faltencreme auch in Eimern?“

„Mach´ ich euch fertig.“ Luise wusste, dass die Witwen die Königinnen der Apotheke waren.

 

Am frühen Abend, es war noch recht frisch, lagen Luise und Krischan auf der Lauer. Luise hatte sich eine Decke mitgebracht. Krischan tat, als sei er kernig und fror, aber leise. Ab und zu nahm er einen Schluck Köm. So saßen sie auf den alten Gartenstühlen im Pastorengang. Verdeckt von dem Grünzeug, das Jorinde vor dem Laden aufgestellt hatte. Der Bürgermeister hatte ihr drei Tische erlaubt. Dort servierte Jorinde neuerdings Fliederbeersuppe mit Klüten. Das Grünzeug sollte wirken wie vor dem Café, das Jorinde in der Landzeitschrift gesehen hatte. Luise und Krischan war das ganz recht, boten die Pflanze doch einen guten Sichtschutz. Durch die Ferngläser beobachteten sie den Löschteich und die Enten. Sie hatten die Enten gezählt, nach Geschlecht unterschieden, sie hatten Namen vergeben und dann waren sie wohl eingenickt.

 

Krischan war krank am nächsten Tag und er spannte Eiko, den Sohn des Bestatters ein, der sowieso nie zur Schule ging. Nicht alle Briefe fanden ihre eigentlichen Empfänger, aber die Nachbarn regelten das unter sich. Wusste ja sowieso jeder, wer von wem Post bekam.

 

Luise hatte die Nacht dank ihrer Decke gut weggesteckt, noch in der Nacht im Schein der Taschenlampe die Enten gezählt und festgestellt, dass wieder zwei fehlten. So ging das nicht weiter.

 

„Eiko“, schmeichelte sich Luise in der Mittagspause beim Jüngling ein, der seinem Vater beim Einsargen zur Hand ging. Du kennst dich doch mit diesen Webcams aus. Ob du eine verdeckte Operation durchführen könntest?“

„Sheesh“, Eiko war Feuer und Flamme. Er installierte eine nachtsichtfähige 1008p Kamera mit Bewegungsmelder. Zwei Tage später weckte der Alarm Luise und Krischan kurz nach Mitternacht. Eine Gestalt näherte sich dem Löschteich. Eine Gestalt, die einen Kapuzenpulli trug und helle Sneaker. Das half nicht. Alle trugen inzwischen Kapuzenpullis und helle Sneaker. Aber die Gestalt ging an Krücken. An Krücken ging gerade außer Doro niemand. Doro arbeitete außerhalb bei einem Feinkosthändler. Sie trug außer den Krücken einen Kescher. So, als sei sie geübt, lehnte sie die Krücken an den Zaun, der den Löschteich umfing, öffnete das Törchen und setzte sich auf die kleine Holzbank. Dann warf sie etwas ins Wasser, das nach Brot aussah. Die Enten kamen, der bis dahin verborgene Knüppel tanzte und keine drei Minuten später zog sie mit ihrer Beute von dannen. Luise und Krischan telefonierten. Das Beweismaterial würde Eiko dem Dorfsheriff vorlegen. Doros Tage waren gezählt.

 

Wie recht sie behalten sollten. Doros schlaffe Gestalt fand deren Schwester als sie ihr die Brötchen brachte. Doro saß an ihrem Sofatisch. Ihr Kopf hing schlaff in einem Eimer voller Wasser aus dem Löschteich. Es war ein Eimer, wie Luise ihn verwendete, um größere Gebinde Salbe anzumischen.

 

Als Luise kurz vor Feierabend im Büro der Apotheke saß und grübelte, ob es wohl jener Eimer war, den sie erst kürzlich … klopfte es ans Fenster. Es war Eiko. „Ich habe dir doch erzählt, dass der USB-Stick auf dem ich die Bilder der Nacht aufgezeichnet hatte verschwunden ist.“

Luise nickte.

„Er ist wieder da. Lag unter dem Tisch bei Jorinde, da wo sich die drei Witwen immer zum Klönschnack treffen. Das darf der Dorfsheriff nie erfahren.“

„Eiko, ich schweige wie ein Grab.“

„Eiko sagte: „Schwör.“

Luise sagte: „Ich schwör.“

Eiko ging. Vor der Apotheke schlenderten die drei Witwen entlang.

„Moin, Oma“, sagte Eiko. Die Oma machte einen Kussmund. „Schlaf schön, mien Jung. Wir müssen noch in den Dorfkrug.

 

Die Witwen, frisch herausgeputzt.

 

Die Doro war zurechtgestutzt.

 

Trinken, tanzen und auch singen.

 

Dem Entenkönig Opfer bringen.

 

Der Dienstag ging, der Mittwoch kam.

 

In Mordby und auch in Vietnam.

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© Arnd Rüskamp